Immer die gleichen Straßen…

Immer die gleichen Straßen. Immer die gleichen Straßen, die ich ohne Ziel durchschreite. Und meine Gedanken. Und mein Schatten. Wenn ich Pappeln sehe, dann bin ich immer glücklich, denn Sie ragen so majestätisch in den Himmel.

Die Breitenfurterstraße scheint endlos lang und führt zur Peripherie. Sie ist, vorallem weiter stadtauswärts, meist von ebenerdigen Häusern gesäumt. Und wenn man traurig ist und mit gesenktem Kopf geht, fallen einem unweigerlich Pflanzen auf, die durch Risse im Asphalt und überall dort, wo etwas Erde zur Verfügung steht, zu sprießen beginnen. Ihre Sprossen und Blätter wachsen bescheiden dem Licht der Sonne entgegen. Oft denke ich, wenn ich Ihrer Gewahr werde, an Schopenhauers Satz vom blinden Willen zum Leben.

Dort in der Breitenfurterstraße wächst auch Wegerich an den Hauswänden. Die Straßen gleichen einander, denn solchen Wegerich sah ich auch überall an den Straßen und Wiesen meiner bosnischen Heimatstadt. Als Kind liebte ich ihn, noch mehr als den Löwenzahn. Die weißen Blütenähren, welche die Blüte, einem weißen Kleidchen gleich, umgeben regten meine Phantasie an. Dort in P. an der Hauptstraße, der Carsija, wo die Dzamija steht, die wie ein Haus aussieht, bei dem ein weißes Minarett aus dem Dach herauswächst, spazierten ich oft an der Hand meines Vaters und fragte ihn: „Was sind das für Steine? Sie sehn wie die Blumen aus“ und deutete hinter den Zaun der Moschee. „Das sind Gräber. Gräber von Krieger oder Hodschas. Diese Skulptur nennt man Turban“ Ich versuchte das Wort TURBAN zu wiederholen. Wenn man denn den Marschall Tito Platz überquerte kam ein zweiter Turm mit einem hohen Zaun. Dort im Hof der serbischen Kirche züchtete der Pope Pfauen. Dahinter ist der Friedhof und dort gibt es auch hohe Pappeln.

„Wenn jetzt der Religionsunterreicht eingeführt wird. Zu welchem wird Dein Junge gehen. Zu unserem wegen Dir, oder zu dem Islamischen wegen seinem Babo?“, fragte einmal eine Frau höhnisch meine Mutter und ich tat so als würde ich es nicht hören. Doch ich habe in P. keinen Religionsunterreicht mehr erhalten. Ein paar Monate später waren wir Flüchtlinge in Slowenien. Dort im karstigen Hinterland der Adria wachsen auf den Wiesen auch allerlei Blumen – auch der Wegerich.

„Der Junge ist eigen geworden. Er sitzt den ganzen Tag alleine auf der Wiese.“

„Das wird sich geben, wenn er andere Kinder kennenlernt. Es braucht seine Zeit.“

Ich tat, als würde ich schlafen.

Immer die gleichen Straßen und sie gleichen einander, egal wo man ist. Häuser, Trottoir, Autos, der blinde Willen, der sich manifestiert, wenn Grashalme in den Rissen des Asphalts wachsen. Nur die Pappeln sind schön. Pappeln neben den Straßen der Peripherie in Liesing und Pappeln beim Friedhof in meiner Heimatstadt. Man kann freier atmen, wenn man zu Ihnen aufblickt. Sie ragen so majestätisch in den Himmel.


Beitrag veröffentlicht

in

von