Coconut Kiss

Eine humoristische Erzählung

Vorgetragen bei Jung Wien ’14

Prosa Colada auf dem Badeschiff 04.06.2023

München leuchtete. Doch Wien leuchtete auch. Hier spannte sich an einem Junitag des Jahres 1980 ebenso strahlend ein Himmel von blauer Seide. An jenem Tag feierten zwei Freunde Réunion in der Innenstadt, nämlich der Philologe Dr. Autherith und der Mathematiker Hr. Windisch. Nachdem die Männer geschlendert, gesprochen, schließlich gegessen hatten, beschlossen die Beiden sich, wie man so sagt, ins Nachtleben zu stürzen. Der Abend legte sich sanft auf die Kärntnerstrasse, den Graben und die Annagasse. Gleißendes Licht der Schaufenster, Straßenlaternen, sowie Reklametafeln erleuchtete die Straßen des Ersten Bezirks. München leuchtete. Doch Wien leuchtete auch und für die beiden Männer galt der alte Spruch: Wer die Wahl hat, der hat auch die Qual…Welches Lokal sollten sie bloß wählen – „Montevideo“, „Take Five“, „Fledermaus“, oder doch die „Eden Bar“ Was war Pflicht, was aber die Kür…Schließlich beschlossen Dr. Autherith und Herr Windisch einen Bummel durch verschiedene Lokale zu unternehmen, auch wenn dieser bis zum Morgengrauen dauern sollte. Man schickte sich als Erstes an, das Stammlokal des Herren Windisch zu besuchen: das „Elysium“

„Bitte die Herren“, sagte ein älterer Kellner jovial zu Ihnen, nachdem Sie Platz genommen hatten. Man durchblätterte die Getränkekarte, dann auch das Blatt mit den Cocktails und Dr. Autherith überflog die Namen dieser Getränke: Mojito, Bloody Mary, Cosmopolitan und schließlich Coconut Kiss und überlegte, dass manches auf Englisch doch besser klang als auf Deutsch, so etwa Coconut Kiss, dies war doch um einiges besser als Kokosnuss Kuss. Er sagte plötzlich zu seinem Begleiter:

„Schau mein Lieber – ein Getränk versetzt mit Kokosmilch. Da muss ich an den Dichter Adalbert Hüll denken. Die Kokosnuss assoziiere ich nämlich stets mit Hüll.“

„Den kenne ich ja gar nicht“, warf Herr Windisch ein.

„Das kann ich fast nicht glauben. Den Namen hast Du bestimmt gehört, kannst Dich aber im Moment dieses Autors nicht entsinnen. Einer der größten Dichter des Fin de Siècle. Intimfreund von Hofmannsthal, Altenberg, Hermann Bahr. Intimfeind von Arthur Schnitzler. Dies hatte wohl persönliche Gründe, wie auch die Polemiken, welche er gegen Rilke verfasste“, erwiderte Dr. Autherith und fügte hinzu, dass es aber leider wahr sei, dass dieser bemerkenswerte Schriftsteller im Großen und Ganzen der Vergessenheit anheimgefallen wäre.

„Persönlich bin ich vis-à-vis von ihm gesessen. Habe ihm in die Augen geschaut, wie ich Dir jetzt in die Augen blicke und lauschte mit meinen eigenen Ohren seinem, schönen, altertümlichen Wiener Melos“, betonte er gegenüber seinem, überrascht schauenden Freund Herrn Windisch, wobei er damals doch um einiges jünger gewesen sei, wie er mit einem versonnenen Blick und etwas wehmütiger Stimme ausführte.

„Ja ich bilde mir doch ein, diesen Namen einige Male gehört zu haben“, sagte Windisch und fragte dann seinen Begleiter, wieso die Dichtergestalt eines Hr. Hüll ihn stets an diese tropische Frucht gemahne, eben an die Kokosnuss.

„Er war in den Tropen. Hüll war in den Tropen“, lächelte Dr. Autherith wissend, gönnerhaft, ja überlegen. Schließlich zündete er sich die Zigarette an, die er schon länger zwischen den Fingern balancierte bestellte einen Coconut Kiss Cocktail, durch deuten auf die Karte, worauf der Kellner lediglich gutmütig mit dem Kopf nickte und fing zu erzählen an, wobei er die Augen öfters länger geschlossen hielt.

Es sei nämlich so gewesen, dass der eben erwähnte Autor Adalbert Hüll im Jahre Neunzehnhundertdreiundzwanzig, oder vielleicht Neunzehnhundertvierundzwanzig, aber keineswegs später eine lange Reise im Auftrag des Völkerbundes unternommen hätte. An die Mission, von der ihm der Dichter berichtet hatte, könne er sich nicht genau erinnern, aber es steht fest, dass es ein wichtiges Unternehmen gewesen wäre. Das Ziel der Mission sei jedenfalls die Südsee gewesen. Es mag Keledonien gewesen sein, aber vielleicht auch Samoa, oder Palau.

„Kennst Du das Gedicht von Benn: „Rot ist der Abend auf der Insel von Palau und die Schatten sinken – singe, auch aus den Kelchen der Frau lässt es sich trinken“

„Bedaure, ich kenne es nicht“, erwiderte Herr Windisch verlegen.

„Ach, spielt ja keine Rolle. Es gibt aber eine interessante Korrespondenz zwischen den Beiden“, sagte Dr. Autherith, spähte nach dem Kellner und setzte seine Erzählung fort:

Es sei nämlich auf dieser Reise zu einem fürchterlichen Schiffsunglück gekommen. Ein Eisberg kann natürlich in der Südsee nicht der Grund gewesen sein, aber es wird ein Tropensturm vermutet.

In den Geschichtsbüchern kann man auch die Anzahl der Toten, sowie der Verschollenen nachlesen. Adalbert Hüll sei es aber gelungen mit zwei anderen Männern, nämlich einem französischen Offizier und einem englischen Arzt, in ein Rettungsboot zu steigen. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht bangten die drei Schicksalsgenossen um Ihr Leben, während eine unbarmherzige Sonne auf das Boot hinunterbrannte und in der Nacht dann gleißend, helle Sterne dem dramatischen Geschehen eine erhabene Kulisse bescherten.

„Weißt Du mein Lieber, diese fürchterlichen Stunden inspirierten Hüll zu einem formvollendeten Gedicht, welches mit den Worten beginnt – Oft kommt es vor, dass um sich zu vergnügen, der Meergott ein Schiff ergreift.“

„Bewundernswert und Heroisch. Was kam dann, wie wurden die Drei gerettet?“ Herr Windisch blickte zu Boden und richtete seinen Krawattenknoten.

„Nun sie kamen schließlich auf eine kleine Insel“, setzte Dr. Autherith die Chronik der weiteren Erlebnisse der Schiffbrüchigen fort. Es kam nämlich abermals ein Sturm auf, den die Männer mit viel Glück überlebten und als sie wieder zu sich kamen, fanden sie sich auf einem wunderschönen Eiland mit weißem Sandstrand und hohen Palmen, die in den erbarmungslos-blauen Himmel ragten, wieder. Doch die pittoreske Landschaft änderte nichts an der schier aussichtslosen Lage der entkräfteten Männer, welche von Durst, Hunger und Müdigkeit gepeinigt gewesen wären.

„Erlauben die Herren bitte die Getränke. Für Sie einen Kokosnuss Cocktail – bitte! Und hier habe ich einen Gin Tonic – bitte Herr Windisch, wie gewohnt“, unterbrach der Kellner, doch Dr. Autherith setzte die Erzählung fort. Ja man vergaß selbst miteinander anzustoßen, solch großes Interesse weckte das Schicksal des Dichters Hüll bei Herren Windisch und so vertieft war Dr. Autherith in den Bericht und fuhr fort und berichtete, dass der französische Offizier kühl feststellte, dass Ihre einzige Chance darin bestünde die Kokosnüsse von den Palmen zu holen. Er sagte mit dem Mut der Verzweiflung: „Alor mes amis!“ und versuchte sich mit den Beinen und Armen an dem Palmenstamm hochzuhangeln, doch immer wieder fiel er herunter. Der englische Arzt und Herr Hüll hatten ebenso kein Glück und scheiterten wiederholt. Ganz und gar zum Scheitern verurteilt war auch der Versuch eine Räuberleiter entlang des Baumes zu bilden, ganz einerlei wie oft der englische Arzt ein lautes „Viribus unitis“ schrie, immer wieder fanden sich die Männer am Boden wieder. Als dann jegliche Hoffnung verschwunden war und man apathisch in den Sanddünen saß und auf das Unvermeidliche wartete, wurde Herr Hüll eines Raschelns im Dickicht gewahr, worauf unvermittelt ein Affe hervorkam und forsch den Dichter anschaute.

„Ein Affe dies klingt ja wahrhaft unglaublich!“, sagte Herr Windisch und nippte an seinem Gin Tonic, mit weit aufgerissenen Augen.

„In der Tat wundersam. Auch Herr Hüll konnte es damals nicht glauben und hielt es anfangs für einen, durch den Durst und die Erschöpfung indiziertes Trugbild. Doch dann sahen auch seine Begleiter den Affen, aber es war doch schwierig zu beschreiben, wie er ausgeschaut hatte. Jedenfalls ein langer Schwanz, braunes Fell mit weißen Flecken und ein gutmütiges Gesicht.“, führte Dr. Autherit aus und beschrieb nachher die unerhörte Begebenheit, dass der Affe blitzschnell in die Höhe kletterte, dann die Kokosnüsse mit großer, hastiger Wucht von der Palme riss und auf den Boden fallen ließ. Doch so geschwind wie der Affe erschienen war, verschwand er auch schon wieder im Dickicht der Tropeninsel. Nun war es für die drei Männer ein Leichtes mit einem Stein die Kokosnüsse zu öffnen und das ersehnte Kokoswasser zu trinken.

Dr. Autherith, nippte an seinem Coconut Kiss Cocktail und fügte hinzu, dass dieser ebenso gut schmeckte, aber das Kokosfruchtfleisch hier natürlich verarbeitet und veredelt worden sei und er sich fragte, wie wohl unbearbeitetes, rein natürliches Kokswasser schmeckte.

„Ach, ich bin überzeugt, einem Verdurstenden mundet jedes Getränk. Aber erzähle doch, wie schafften es die drei Schiffbrüchigen schließlich von der Insel. Wie wurden diese gerettet?“, fragte Herr Windisch.

„Ja, genau weiß ich es nicht mehr, vermag mich jetzt nicht zu entsinnen. Ein Schiff ist wohl gekommen und hat die drei Schicksalsgenossen, welche jetzt zu wahren Freunden geworden waren, aufgefunden und dann evakuiert.“, sagte Dr. Autherith und versicherte zugleich, dass der Dichter Hüll jedenfalls die Havarie heil überstanden habe, so sah er ihn ja selbst noch Ende der Sechziger.

„Herr Windisch, bitte gestatten Sie! Man verlangt Sie am Telefon“, rief der Kellner

„Entschuldige mich“, bat Herr Windisch und machte sich geschwinden Schrittes auf den Weg ins Extrazimmer.

Dr. Autherith stand auf und ging zu einem der großen Fenster und blickte auf die Annagasse. Das Laternenlicht schien in verschwenderischer Großzügigkeit auf das Kopfsteinpflaster. Er dachte an Kokosnüsse, die Südsee, den Dichter Hüll, seine Jugend und an den Affen.

München leuchtete. Doch in jener Nacht, da leuchtete Wien auch.


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